Bis anhin fehlte in der Politik ein Konzept, wie die Versorgungssicherheit der Schweiz künftig gewährleistet werden kann. Im Rahmen der Revision des Stromversorgungsgesetzes nimmt der Bundesrat dieses Thema auf. Er orientiert sich dabei an Kapazitätsmechanismen, für welche sich auch die BKW seit vielen Jahren engagiert. Damit können gezielt Investitionsanreize sowie die Grundlage für die kurz- und langfristige Versorgungsstabilität geschaffen werden.
Marktbasierte Instrumente für die Versorgungssicherheit
Tiefe Strompreise, der Ausstieg aus der Kernenergie, der steigende Investitionsbedarf bei der Wasserkraft und die zunehmend unsichere Importfähigkeit aus den Nachbarländern Deutschland und Frankreich stellen für die Schweizer Versorgungssicherheit eine wachsende Herausforderung dar. Bis anhin bestand kein ausreichendes Konzept, wie die zukünftige Versorgungssicherheit gewährleistet werden soll. Wir begrüssen es daher, dass der Bundesrat im Rahmen der Revision des Stromversorgungsgesetztes mit der Speicherreserve sowie der Möglichkeit von Ausschreibungen für neue (Winter-) Stromproduktionskapazitäten ergänzende, marktbasierte Instrumente für die kurz- und längerfristige Stromversorgungssicherheit vorsieht.
Zusätzlicher Markt für Versorgungssicherheit
Der Vorschlag des Bundesrats entspricht in weiten Teilen dem bereits 2017 von der BKW vorgestellten Versorgungssicherheit-Modell. Dieses orientiert sich an sogenannten Kapazitätsmärkten. Vereinfachend handelt es sich dabei um einen zusätzlichen Markt für Versorgungssicherheit, wobei eine zentrale Instanz die nötigen Kraftwerkskapazitäten definiert und zentral ausschreibt. Ein Kapazitätsmarkt würde gezielt Investitionsanreize schaffen und eine Grundlage für die kurz- und langfristige Versorgungsstabilität bilden.
Sicherheit durch ein vernetztes Europa
Auch der eingeschränkte Zugang zum europäischen Strommarkt kann zu Versorgungsengpässen in der Schweiz führen. Vor diesem Hintergrund sollte unser Land möglichst bald ein entsprechendes Strommarktabkommen mit der EU abschliessen. Voraussetzungen dafür sind die vollständige Strommarktöffnung sowie eine Einigung zwischen der Schweiz und der EU über die Weiterentwicklung des bilateralen Wegs.
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Häufig gestellte Fragen
Auf den ersten Blick solide. Die Schweiz verfügt über Brutto-Kraftwerkskapazitäten von zirka 22 Gigawatt (GW), während die maximale Nachfrage rund 10 GW beträgt. Doch bei einem Grossteil handelt es sich um Speicheranlagen. Ob sie tatsächlich verfügbar sind, hängt im Wesentlichen vom Pegelstand der Speicherseen ab. Mittel- und längerfristig stellt sich ausserdem die Frage, ob die inländische Stromproduktion überhaupt ausreichend ist, um Versorgungssicherheit zu garantieren. Einerseits werden die Schweizer Kernkraftwerke schrittweise vom Netz genommen und im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor allem durch erneuerbare Energien ersetzt. Diese leisten einen tieferen Beitrag zur Versorgung im Winter. Anderseits sind bei den Wasserkraftwerken vermehrt Reinvestitionen nötig, um ihren Betrieb aufrecht zu erhalten.
Kritische Versorgungssituationen könnten sich in der Schweiz deshalb vor allem gegen Ende des Winters einstellen, wenn die Speicherseen weitgehend geleert sind und die Nachbarländer kaum oder nur sehr beschränkt Strom exportieren können. Deutschland und Frankreich werden in den nächsten Jahren zwar weiterhin Strom-Nettoexporteure bleiben, doch sie werden vor allem im Winter während kritischer Perioden mit hoher Nachfrage und geringer Photovoltaik- und Windkraftproduktion ihre Lieferungen an Nachbarländer einschränken oder gar auf Importe angewiesen sein. Denn in beiden Ländern dürfte der Ausbau erneuerbarer Energien anhalten, während konventionelle steuerbare Kraftwerke vermehrt abgeschaltet werden. Deutschland nimmt seine letzten Kernkraftwerke bis Ende 2022 vom Netz und schaltet bis spätestens 2038 sämtliche Kohlekraftwerke schrittweise ab. Auch in Frankreich nimmt die Produktion aus Kernkraftwerken ab.
Weil unter den jetzigen Marktbedingungen kaum jemand in neue Grosskraftwerke investiert. Die Strompreise haben sich seit ihrem Tiefpunkt in 2016 zwar teilweise erholt, ein weiterer Anstieg ist durch den anhaltend starken Zubau von Solar- und Windenergie in Europa aber limitiert. Das aktuelle und wahrscheinlich auch das zukünftige Preisniveau am Strommarkt geben keine ausreichenden Investitionsanreize – weder für die zunehmend nötigen Reinvestitionen in die Wasserkraft, noch für neue Speicherkraftwerke oder den möglicherweise nötigen Bau von Backup-Kraftwerken für die Versorgungssicherheit.
In einem ersten Schritt wird die nötige Kraftwerkskapazitäten zur Deckung des Strombedarfs im Winter definiert (Eigenversorgungsgrad). Diese benötigte Strommenge wird im Kapazitätsmarkt ausgeschrieben. Dabei kommen zwei unterschiedliche Auktionsmechanismen zum Einsatz:
- Die Forward Kapazitätsauktion ist das Kernelement und schafft Anreize für den Erhalt und den Ausbau von Kraftwerkskapazitäten, die während der Wintermonate produzieren können. Im Rahmen einer vier Jahre im Voraus stattfindenden Auktion beschafft eine zentrale Instanz Kraftwerkskapazitäten für das Winterhalbjahr. Durch diese Vorlaufzeit können neben bestehenden auch neue und erneuerte Anlagen teilnehmen. Decken die vorhandenen Kraftwerke den Bedarf nicht ab und schafft der Energiemarkt alleine nicht ausreichende Investitionsanreize, bildet sich in der Auktion ein Preis für neue bzw. erneuerte oder erweiterte Kraftwerkskapazität. Damit entsteht ein Anreiz für (Re-)Investitionen in Kraftwerke, die während der Wintermonate einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
- Die sechs Monate im Voraus stattfindende Verfügbarkeitsauktion ist eine Ergänzung, damit Kraftwerke und Speicher auch am Ende des Winters verfügbar sind. Konkret handelt es sich beim ausgeschriebenen «Produkt» um die permanente Produktionsfähigkeit einer Kraftwerks-Leistung über eine bestimmte Zeitdauer – z.B. mindestens zehn Tagen im April. Da aufgrund der Kurzfristigkeit nur bestehende Anlagen teilnehmen können, würde sich der Preis in der Auktion anhand der Opportunitätskosten der Speicherzurückhaltung bilden.
Im Unterschied zu anderen Marktmodellen haben Kapazitätsmärkte verschiedene Vorteile:
- Echter Beitrag zur Versorgungssicherheit: Das Modell fördert nicht einfach den Ausbau des Kraftwerkparks, sondern liefert Antworten auf die drängenden Herausforderungen der Schweiz: Die Versorgungssicherheit im Winterhalbjahr mit einem speziellen Fokus auf die kritischen Monate gegen Winterende.
- Flexibler Markt-Mechanismus: Das Modell basiert auf einem marktlichen Mechanismus. Dadurch werden die effizientesten Technologien für eine sichere Versorgung gefördert und Mitnahmeeffekte minimiert. Denn die besten Chancen haben Kraftwerke mit einem grossen Beitrag für die Versorgungssicherheit im Winter. Zudem reagieren Kapazitätsmärkte auf die Entwicklung der Strompreise. Steigen diese an, bietet der Markt genügend (Re-)Investitionsanreize und die Auktionspreise tendieren gegen null. Das heisst: Geld wird nur dann ausgeschüttet, wenn dies für die Versorgungssicherheit nötig ist.
- EU-kompatibel: Ein Kapazitätsmarkt ist mit dem EU-Binnenmarkt vereinbar und kann somit auch nach Abschluss eines Stromabkommens weitergeführt werden. Er funktioniert sowohl im heute teilliberalisierten Markt, als auch bei einer vollständigen Liberalisierung. Beides erhöht die Investitionssicherheit.
- Backup-Kraftwerk: Falls notwendig, lässt sich mit einem Kapazitätsmarkt auch ein Reservekraftwerk finanzieren. Dieses hat nur wenige Betriebsstunden, übernimmt aber eine wichtige Versicherungsleistung für das Gesamtsystem.
Bei den Forward-Kapazitätsauktionen können sowohl neu Kraftwerkprojekte teilnehmen, aber auch bestehende Kraftwerke mit grossem Erneuerungsbedarf oder Erweiterungsmöglichkeiten. Mitmachen können auch die Verbraucher, indem sie Massnahmen zur Reduktion des Stromverbrauchs während der Wintermonate offerieren.
Ja. Bereits seit den ersten Liberalisierungsschritten in den 90er-Jahren haben Staaten als Ergänzung zum Energiemarkt Kapazitätsmechanismen eingeführt, um Investitionsanreize und damit langfristige Versorgungssicherheit zu schaffen. Heute gibt es solche Modelle beispielsweise in den USA, in Grossbritannien und neu auch in Frankreich und Italien.